Wer unterschreibt, der bleibt

Disruption bezieht sich per Definition auf jedes Ereignis oder jeden Prozess, der übliche Abläufe oder die bisherige Funktionsweise stört oder unterbricht. Im Duden ist von einschneidenden (meist zerstörerischen) Veränderungen die Rede. Auch Schumpeters „Schöpferische Zerstörung“ muss hier natürlich erwähnt werden. Der Begriff „Disruption“ wurde durch Clayton Christensen in seinem Buch The Innovator’s Dilemma aus dem Jahr 1997 aus ökonomischer Sicht mitgeprägt. Er beschreibt dort, wie disruptive Innovationen etablierte Märkte und Technologien auf die Probe stellen und verändern.[1]. Disruption im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz (KI) bezieht sich auf die tiefgreifenden Veränderungen, die durch den Einsatz von KI-Technologien in verschiedenen Branchen und Bereichen hervorgerufen werden, erklärt ChatGPT auf den Prompt „Disruption und Künstliche Intelligenz“. Demnach hat KI das Potenzial, traditionelle Geschäftsmodelle, Prozesse und Produkte disruptiv zu transformieren. Jüngste Studien, zum Beispiel von McKinsey, zeigen, dass mit Hilfe künstlicher Intelligenz (KI) deutliche Produktivitätszuwächse erzielt werden können.

Neue Risiken

In diesem neuen Umfeld ist eine Fokussierung auf neue Risiken, die sich aus der Anwendung von KI ergeben, notwendig. Neue Fähigkeiten und Qualifikationen auf Seiten der Mitarbeiter sind gefragt:

„The era of generative AI is just beginning. Excitement over this technology is palpable, and early pilots are compelling. But a full realization of the technology’s benefits will take time, and leaders in business and society still have considerable challenges to address. These include managing the risks inherent in generative AI, determining what new skills and capabilities the workforce will need, and rethinking core business processes such as retraining and developing new skills.“

Generative AI

Mit den Möglichkeiten Generativer AI lassen sich offensichtlich viele betrieblichen Prozesse und Tätigkeiten, die gesetzlich initiert werden (Stichwort: Compliance), deren Notwendigkeit auf Grund eines Gesetzes regelbasiert als Standard-Routine ablaufen sollen, wesentlich effektiver und effizienter gestalten als bisher.

Prozess der Jahresabschlussprüfung

Der Prozess der Jahresabschlussprüfung fällt zweifellos in diese Kategorie. Er basiert maßgeblich auf den einschlägigen Regelungen des Handelsgesetzbuchs (§§ 316 ff. HGB) und den berufsständischen Prüfungsstandards des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW), im internalen Kontext auf denen des International Auditing and Assurance Standards Board (IAASB). Bei der Jahresabschlussprüfung handelt um eine Ordnungsmäßigkeitsprüfung bei der im Grundsatz ein bestimmtes dokumentiertes Ist-Objekt, hier der Jahresabschluss und der Lagebericht des Unternehmens, gegen bestimmte Normen und Grundsätze dem Soll-Objekt der Prüfung abgeglichen wird.

Markt für Abschlussprüfung

Angenommen, mit Hilfe generativer Künstlicher Intelligenz ließe sich der Prozess der Abschlussprüfung fast vollständig automatisieren,[2], dann hätte das einen erheblichen Einfluss auf den Markt für Abschlussprüfung und auf die Prüferhonorare, denn die reguläre Jahresabschlussprüfung könnte folgerichtig zu einem deutlich niedrigeren Preis angeboten werden als bislang. Gleichzeitig ergibt sich aber ein weitgehend neues Betätigungsfeld – auch im Bereich der prüfungsnahen Dienstleitungen – für den Berufsstand der Wirtschaftsprüfer, nämlich die Prüfung von KI-Systemen auf Basis geeigneter Kriterien, da der Bedarf nach zuverlässigen KI-Systemen steigt. Passend hierzu hat das Institut der Wirtschaftprüfer (IDW) einen neuen Prüfungsstandard (IDW PS 861) herausgebracht.

Konsequent zu Ende gedacht, stellt sich letzlich die Frage wer denn eigentlich noch notwendig ist, um die Jahresabschlussprüfung ordnungsmäßig durchzuführen. Zwingend notwendig auf auf Seiten der Abschlussprüfer sind diejenigen, die den Bestätigungsvermerk (§ 322 HGB) persönlich unterzeichnen nach dem Motto Wer unterschreibt, der bleibt!. Und, wer bleibt noch?

Empfehlung an Aufsichtsräte

Aufsichtsräte bzw. deren Prüfungsausschüsse sollten ihren Abschlussprüfer fragen, ob KI-Lösungen im Rahmen der Prüfung bereits Anwendung finden, und dadurch der Zeitaufwand respektive das Prüfungshonorar gesenkt werden können. Auch in einem möglichen Ausschreibungsverfahren dürfen derartige Fragen nicht fehlen.

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