Seit mehr als 20 Jahren können wir beobachten, dass in der Folge von Insolvenzen großer Unternehmen, Regulatoren und Standardsetter immer wieder versucht haben durch Gesetze, Kodizies und Standards, Mängel in der Unternehmensführung der Vorstände und Unternehmensüberwachung der Aufsichtsräte sowie der externen Abschlussprüfung zu überwinden. Wenig überraschend wird nun vor dem Hintergrund der Wirecard-Pleite mit dem Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz (FISG) wieder einmal ein neues Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht. Fraglich erscheint allerdings, ob hiermit derartige Fälle künftig verhindert werden können, zumal auch alle vorherigen in dieselbe Richtung zielenden Gesetzes und Kodex-Initiativen ihre beabsichtigte Wirkung offensichtlich nicht voll entfaltet haben.
Im Wirecard-Fall sind ähnliche Muster erkennbar, wie im Fall von Enron, filmisch übrigens hervorragend dokumentiert in The smartest Guys in the Room, in dessen Folge der Sarbanes-Oxley Act im Jahr 2002 in Kraft trat und eine richtige Governance Risk Compliance (GRC) – Industrie mit Beratungsdienstleistungen bis hin zu Software – Produkten entstehen ließ. Auch die Lehman – Pleite wurde mannigfaltig verfilmt und zeigt deutliche Parallelen, Gier frißt Herz.
Gesetze können jedoch die Dynamik und Komplexität von Unternehmenskrisen nicht voll abbilden. Motive, Täter – Profile, Verstrickungen und mögliche Interessenkollisionen bleiben weitgehend außer Acht. Der Faktor ‚Mensch‘ läßt sich nur sehr schwer normieren, wenn auch im Laufe der Zeit die persönliche Eignung und die Qualifikation von Aufsichtsratsmitgliedern explizit zum Gegenstand von aktienrechtlicher Regulierungsmaßnahmen und Kodex-Änderungen wurde: „Die Mitglieder des Aufsichtsrats nehmen die für ihre Aufgaben erforderlichen Aus- und Fortbildungsmaßnahmen eigenverantwortlich wahr. Die Gesellschaft soll die Mitglieder des Aufsichtsrats bei ihrer Amtseinführung sowie den Aus- und Fortbildungsmaßnahmen angemessen unterstützen und über durchgeführte Maßnahmen im Bericht des Aufsichtsrats berichten.“, heißt es im Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK). Mittlerweile gibt es sogar einen Kreis von Anbietern, die sich speziell mit der Weiterbildung von Mitgliedern von Aufsichtsräten beschäftigen. Die Deutsche Börse zertifiziert mittlerweile erfolgreich Aufsichtsräte.
Aufgrund meiner beruflichen Erfahrung im Umgang mit Mitgliedern von Aufsichtsgremien, Geschäftsführungen und Prüfern einerseits und Studierenden sowie angehenden jungen Geschäftsführern und künftigen Aufsichtsräten andererseits, nehme ich eine ‚Lücke‘ in der anhaltenden Corporate Governance – Debatte wahr, die meines Erachtens bisher kaum thematisiert worden ist. So fehlt es der jüngeren Generation oft an Basiswissen und Verständnis in Bezug auf grundlegende Abläufe im Governance – System von Unternehmen, was wiederum das erwünschte Mitdenken und Handeln auf den nächst höheren Hierarchieebenen erschwert. Die Qualität der Corprorate Governance ließe sich langfristig insgesamt vermutlich erheblich verbessern, wenn hier Abhilfe geschaffen würde.
Von aktiven Aufsichtsratsmitgliedern habe ich gehört, dass sie für ihre operative Aufsichtsratstätigkeit das Prozessmodell der DIN – SPEC 33456 sehr schätzen; es sei praktisch anwendbar und bietet einen guten Überblick. Die DIN SPEC 33456 definiert einen Orientierungsrahmen und Leitfaden für Aufsichtsgremien zur praktischen Erfüllung ihrer einzelnen Überwachungsaufgaben. Im Mittelpunkt der DIN SPEC 33456 steht ein Prozessmodell mit acht Hauptprozessen, dem der Gedanke zu Grunde liegt, dass die Tätigkeiten von Aufsichtsgremien bestimmten Routinen folgen, die regelmäßig im Takt der (quartalsweisen) Aufsichtsratssitzungen stattfinden und in einem vergleichsweise hohen Maß determiniert sind. Die Geschäftsprozesse des Aufsichtsrats beinhalten aus organisatorischer Sicht eine bestimmte Menge verknüpfter Einzelaktivitäten, die jeweils einen definierten Input erfordern und ein Ergebnis in Form von erwarteten Outputs generieren.
Vor diesem Hintergrund haben wir zusammen mit der Splendid Learning GmbH basierend auf der DIN SPEC 33456 – Leitlinien für Geschäftsprozesse in Aufsichtsgremien ein Blended Learning Modul entwickelt, das dieses Basiswissen vermittelt und, zumindestens bezogen auf die Aufsichtsratsthemen, grundsätzlich geeignet ist die zuvor erwähnte ‚Lücke‘ zu schließen. Es richtet sich an Studierende, kommende Führungspersönlichkeiten von Unternehmen, werdende Geschäftsführer und Aufsichtsratsmitglieder, die neue Generation von Aufsichtsräten.